Ein Wunder, dass nicht zur Säulenheiligen erkoren wurde, war doch die legendäre „Steinöl-Liesl“, die Schwägerin Martin Albrecht seniors, drüben in der Brennerei im Bächental schon vor dem 1. Weltkrieg ein „Weiberleut“, das gleichberechtigt neben den wahre Knochenarbeit verrichtenden Mannsbildern „ihre Frau“ stand. Die Liesl werkte auch mit einem Mordstrumm Holzlöffel oft an den riesigen Kesseln, um das Steinöl zu verrühren und weiter zu verarbeiten. (Heute machen das automatische Rührwerke). Sie, ein fesches Weiberleut, war aber auch für die Verpflegung zuständig, indem sie für die Mander aufkochte – einmal Kartoffelgulasch, das andere Mal Schmarrn und, sofern sich dann und wann eine Gams in die Kuchl „verirrte“, ein „g´schmackiges Wildbratl“.
Auch in punkto Mut stand sie den Männern in Nichts nach. Als sie eines Tages, im Februar 1917, einen Brief von Martin Albrecht sen. aus Trient erhielt, wo dieser im 1. Weltkrieg bei einer Tragtierkompanie als K.-u.-k.-Soldat diente, mit der Bitte, sie möge aus dem Bächental ein paar Flaschen Steinöl zum Behandeln kranker Pferde holen, machte sie sich mutterseelenallein mit der „Kraxn“ am Buckel auf den Weg. Zuerst kilometerweit über den zugefrorenen Achensee, dann mit Schneereifen mühselig hinauf vom Unterautal (950 m) zum tiefverschneiten Gröbner Joch (1650 m) und hinunter zur Brennerei (1375 m).

Doch im letzten fahlen Tageslicht musste sie voll Entsetzen feststellen, dass die notdürftig errichtete Schwelanlage abgebrannt war. Mit Tränen in den Augen kehrte sie um. Inzwischen brach unheildrohend die Dunkelheit herein und der aufgekommene Schneesturm raubte der tapferen Liesl fast den Atem. Längst war die einfache „Petroleumfunzel“ erloschen und nur mit letzter Kraft erreichte sie bange Stunden später um Mitternacht die „Maier“-Wirtin in Achenkirch, die zuerst glaubte, ein Gespenst klopfe an die Tür. Ein mitleidiger „Schandi“ (Landpolizist) brachte dann die platschnasse „Stoanöl-Liesl“, der man vorsorglich noch eine heiße Schnapssupp’n gegen die „Verkühlung“ eingeflößt hatte, wohlbehalten zurück nach Pertisau. Vermutlich hatten wohl unachtsame Wanderer den Brand in der Steinölbrennerei verursacht.






Ein Vierteljahrhundert hat die „Steinöl-Liesl“ im Bächental gebuckelt und nebenbei 20 Jahre ihren blinden Schwager betreut, der 1925 das Augenlicht verlor: In diesem Jahr wollte Martin Albrecht sen. für den „Pertisauerhof“ endlich ein Kühlaggregat anschaffen. Bisher hatten die Söhne Ernst, Hans, Martin jun. und Sepp Winter für Winter Eisblöcke aus dem Achensee gesägt und in dem mit Holzkohle isolierten „Eiskeller“ für die warme Jahreszeit aufbewahrt. Als er aber am Unglückssonntag die Kühlmaschine anlaufen ließ, verklemmte sich das Zugventil, der Zylinder des Ammoniakbehälters wurde abgerissen und der dabei mit hohem Druck austretende Salmiak verätzte beide Augen des Seniors.



Dieser Schicksalsschlag traf die ohnehin durch die triste Wirtschaftslage der Nachkriegszeit schwer geprüfte Familie mit sechs minderjährigen Kindern besonders hart. Doch jetzt mussten die Buben erst recht richtig zupacken, und so konnte der blinde Vater mit Unterstützung seiner Familie und der Schwägerin das Unternehmen weiterführen. Gebrannt wurde im Bächental immer erst nach der Sommerfrischsaison, denn solange die „Fremden“ am Achensee im „Pertisauerhof“ und in dem mit eigenen Händen erbauten „Batzenhäusl“ logierten, mussten die Kinder auch im Gastbetrieb beim Geschirrwaschen, Besteckputzen und Speiseeisrühren mithelfen.



75 Jahre lang war Liesl, die treue Seele, eine große Stütze für die Familie Albrecht. Krank war sie kaum einmal, denn sie schwor bis zuletzt auf ihr Steinöl als Allheilmittel. Sie glaubte felsenfest, es kuriere „fast alle“ Wehwehchen, was sie dazu verleitete, ihr „Wundermittel“ dann und wann mit Wasser verdünnt – wie andere ihr Achtele Rötl – zu trinken. 97 Jahre ist sie alt geworden und von der „Tante“ sprechen heute alle noch voll Anerkennung.

